Rupert Voß wurde mit seiner „Work and Box Company“ für jugendliche Straftäter in Taufkirchen bei München von der Stiftung Bürgermut zum „Weltbeweger“ ausgewählt. 2009 erschien seine Autobiographie „Herz-Schlag“ und 2010 erschien der Film „Friedensschlag“ über seine ehrenamtliche Arbeit. Im Interview verrät er uns unter anderem, was ihn motiviert, wie er Krisen überwindet und Entscheidungen trifft. Das Interview führten wir im November 2009.

? Herr Voß, wie sind Sie auf die außergewöhnliche Idee gekommen, Jugendlichen genau mit Boxen aus ihrer schweren Lage zu helfen?

Rupert Voß: Die Arbeit mit den Jugendlichen hat nichts mit Boxen zu tun, es ist nicht mal ein Sport. Es ist ein Werkzeug, um straffälligen Jugendlichen zu helfen, mit ihrer Traumatisierung umzugehen. Ich selber hatte vor meinem Projekt gar keinen Bezug zum Boxen. Ich habe mich bei den Ausbildungen zum Umgang mit schwierigen Jugendlichen damals einfach für die Methode entschieden, die mich am meisten abgestoßen hat.

? Inwiefern abgestoßen?

Mir war Boxen völlig fremd, ich kannte es nicht und darin lag dann der Reiz für mich: etwas völlig Neues ausprobieren, was auch mich persönlich weiterbringt.

? Was ist das schönste für Sie an der Arbeit mit den Jugendlichen?

Ich sehe das eher auf einer Metaebene. Ich schau mir das Ergebnis an, und wenn das Ergebnis mit meinem Ziel übereinstimmt, dann bin ich zufrieden. Beim Begleiten von Menschen ist das natürlich nicht so einfach wie beim Aufbau eines Schrankes. Ich habe mich für die Arbeit mit Jugendlichen entschieden, weil wir in meiner Schreinerei immer wieder Probleme mit Auszubildenden hatten – Betrug, Sachbeschädigung usw. Ich dachte mir, da muss man doch irgendwas machen können.

? Gibt es auch Momente, in denen Sie am liebsten alles hinschmeißen würden?

Ja, aber nicht bei der Arbeit mit den Jugendlichen, sondern wenn ich auf bürokratische Hürden stoße.

? Sie leiten so viele Organisationen und Betriebe – eine Schreinerei, die Work and Box Company, die Rupert-Voß-Stiftung, etc. – können Sie sich denn überhaupt eine Auszeit gönnen?

Für Auszeiten gibt es zwei Bereiche: einmal meine Familie und dann mich selbst. Meine Familie hat zeitmäßig genau die gleiche Priorität wie alle anderen Organisationen auch, aber emotional steht sie deutlich höher. Um bei einer 60-70 Stunden-Woche noch genug Zeit für all das zu finden, muss man Strukturen schaffen und Verantwortung delegieren. Das heißt aber auch, dass ich bereit sein muss, andere Leute ihre Fehler machen zu lassen. Die persönliche Auszeit kommt da leider oft etwas zu kurz und das ist eigentlich meine größte Baustelle im Moment. Ich war gerade 4 Wochen auf Kur und habe mich wieder ein wenig sortieren können.

? Auch Sie haben erst lernen müssen, Ihre Zeit optimal zu nutzen. Welches Hilfsmittel oder welcher Tipp hilft Ihnen am besten, all Ihre Aktivitäten unter einen Hut zu bringen und nicht den Überblick zu verlieren?

Das ist für mich eindeutig das Total Quality Management. Wie kann ich überprüfen, ob die Dinge so laufen, wie ich mir das vorstelle und welche Möglichkeiten gibt es, um sie noch besser laufen zu lassen? Ich habe zum Beispiel erst vor kurzem eine Befragung mit meinen Kindern durchgeführt. Es war erstaunlich, wie glücklich sie waren, dass sie mal konkret gefragt werden, was ihnen an unserem Zusammenleben gefällt und was weniger.

? Würden Sie sich als Querdenker bezeichnen?

Ich würde eher sagen, ich denke vernetzt und spüre dadurch schnell Tendenzen in der Gesellschaft. Häufig bin ich sogar meiner Zeit voraus. So war das auch bei den jugendlichen Straftätern. Im Jahr 2001 haben Herr Makella (Herr Makella ist Leiter der Work and Box Company, Familientherapeut und Box-Anleiter. Anmerkung der Redaktion) und ich mit diesem Projekt begonnen und erst 2005/6 war dieses Thema in den Schlagzeilen. Vielleicht war ich damals sogar ein bisschen zu früh dran. Aber das weiß man meist erst hinterher. In meiner Kindheit habe ich eine starke Intuition entwickelt, sonst hätte ich in meiner Familie nicht überlebt. Meine Mutter wollte ich immer glücklich machen, da sie sehr unter meinem Vater litt, und von meinen Brüdern wurde ich grandios übergangen. Einer meiner Brüder wurde letztendlich sogar drogensüchtig.

? Ihre Kindheit hat Sie also ausschlaggebend geprägt.

Warum ich nicht drogenabhängig wurde? Ich habe diese schwierige Zeit verarbeitet, indem ich ein starkes Einfühlungsvermögen entwickelt habe und mich so durch alle familiären Konflikte durchmogeln konnte. Dabei habe ich die geniale Gabe erhalten, Menschen wirklich am Herzen zu berühren.

? Eben genau dieses Zwischenmenschliche steht bei Ihrer Arbeit ganz klar im Vordergrund, wie bei den meisten Kreativen Chaoten. Würden Sie sich als kreativ-chaotisch bezeichnen?

Nein, ich bin definitiv kreativ strukturiert und alles andere als chaotisch. Sie sollten mal meinen Schreibtisch sehen! Ich denke mit sehr viel Empathie, aber ich habe auch durch meine Vergangenheit gelernt, meine Emotionen zu kontrollieren. Kaum ein Mensch in meinem Umfeld bekommt mit, wie es mir wirklich geht.

? Sie haben in Ihrem Leben viele schwierige Entscheidungen meistern müssen. Da ist zum Beispiel die Krise in Ihrer Ehe, die Sie sehr eindringlich in Ihrem Buch schildern. Was hilft Ihnen dabei, Entscheidungen zu treffen?

Wenn ich vor einer schwierigen Entscheidung stehe, mache ich so etwas wie eine Vergleichskalkulation mit Erlebnissen aus meiner Vergangenheit. Gleichzeitig bin ich aber auch mit meinen Gedanken weit in der Zukunft und versuche, alle Konsequenzen meiner Entscheidung abzuschätzen. Bei akuten Krisen wie zum Beispiel einem Autounfall bin ich jedoch völlig intuitiv gesteuert und handle automatisch richtig für das gesamte Umfeld.

? Ein großes Thema in Ihrem Buch ist es, sich den eigenen kleinen Macken zu stellen, denn nur so können wir anderen Menschen mit ihren Problemen helfen. Wie überwältigen Sie Ihren „inneren Schweinehund“?

Na ja, das ist ja kein „Schweinehund“, sondern ein Konglomerat an unterschiedlich erfahrenen Dingen, die man im Moment nicht durchblickt. Ich löse das, indem ich mich therapeutisch begleiten lasse. Ich war jetzt auf Reha, wo die verschiedenen Traumatisierungsebenen, die mich belasten, nochmals sehr stark herausgearbeitet wurden. Aber auch alternative Heilmethoden wie die Cranio-Sakral-Therapie und Yoga helfen mir weiter.

? Über Ihre Arbeit wurde der Film „Friedensschlag – Das Jahr der Entscheidung“ gedreht. Was erwartet uns da und wann dürfen wir ihn im Kino sehen?

So wie es im Moment aussieht, wird der Film im Frühjahr 2010 in den Kinos zu sehen sein. Ähnlich wie bei dem Film „Rythm is it“ geht es hier um sehr viel Menschlichkeit in einer extrem liebevollen Umgebung und um ein tiefes Interesse am anderen Menschen. Der Zuschauer soll selbst mitfühlen und so viel stärker berührt werden als bei einem bloßen Dokumentarfilm. Aber der Film wird auch einen Einblick in eine Welt mit sehr hässlichen Leuten geben, noch viel hässlicher als bei „Rythm is it“. Der Zuschauer wird zunächst geschockt sein, weil die jugendlichen Straftäter eine Gruppe in unserer Gesellschaft sind, mit der sich kaum jemand beschäftigt. Aber am Ende wird er Opfer und Täter besser kennen und verstehen.

? Was ist Ihre nächste Herausforderung?

Meine Hauptaufgabe im Moment ist die Verbreitung unserer Arbeit in Deutschland. Obwohl wir eine extrem hohe Erfolgsquote haben, ist es uns bis jetzt noch nicht gelungen, eine „Work and Box Company“ in einer anderen Stadt als München in die Wege zu leiten. Die andere große Aufgabe ist, mein Leben umzustrukturieren, um mehr Zeit für mich zu finden. Aber da bin ich in letzter Zeit auch schon einen guten Schritt weiter gekommen. Alle anderen Sachen laufen bestens.

? Herr Rupert Voß, herzlichen Dank für das Gespräch!

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